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Wie unsre Songs entstehen

Wie unsre Songs entstehen

Hansjörg Enz

November 16th, 2015

Geschichten hinter den Songs des neuen Albums Badu wadaja

Im Zentrum steht der Text, dazu machen sie die Musik, die dazu passt. Sie bedienen sich vieler Stilrichtungen von Folk bis Jazz, all der Musik, die sie in über 50 Jahren aufgesogen haben. Und die „Vögel“ sind Geschichten-Erzähler, Storyteller, das zeigt sich das auf der neuen CD Badu wadaja.

Badu wadaja

Badu? Was? Eben Badu wadaja! Was heisst das? Google doch – hilft aber nichts! Da kommst Du wieder auf die Galgevögel und dass ihre neue CD eben Badu wadaja heisst. Und was heisst’s jetzt ? Nichts oder alles. Das ist typisch für das neue Album der Vögel, da ist einiges nicht, wie man es erwartet könnte. Die Galgevögel sind die älteste noch existierende Ostschweizer Mundart Band, aber auf diesem Album singen sie hochdeutsch, wienerisch, französisch und eben baduwadajisch, in einer Sprache, die’s nicht gibt.

Das hat damit zu tun, wie dieses Lied entstanden ist. Keyboarder Rolf Stiefel schrieb die Musik, sang dazu die Melodie mit „nanana“. Und dann war’s an Hansjörg Enz, dazu einen Text zu schreiben, der genau dem Rhythmus entsprach und erst noch etwas bedeutete. Immer wieder probiert – ging aber nicht – also wurde die Not zur Tugend und aus „nananana“ Badu wadaja, und ein Refrain, der nicht mehr aus dem Ohr geht. Dann kommt ein Zwischenteil und man denkt: Alo-oe, das könnte doch Hawaiianisch sein – stimmt!

Nur so einfach ist’s wieder nicht: Dieser Teil ist ein Mix aus drei Sprachen. Drei Sprachkundige haben den gleichen Text in Hawaiianisch, Kiswahili und Madegassisch übersetzt, drei Sprachen die auch viele Vokale haben, wie eben Baduwadajisch. Diese Übersetzungen wurden wieder gemixt zu einem singbaren Ganzen. Alles klar oder immer noch alles badu wadaja? Ah, sie wollten noch wissen, welchen Text sie übersetzt haben: Lassen sie ihre Fantasie fliegen.

Kater

Der Grossvater von Hansjörg Enz, der bereits auf der CD „September“ verewigt ist, besass einen Kater, den Peter. Der schlief meist, und wenn er sich fortbewegte, war das meist auf den Armen des Grossvaters. Überkamen den Kater Frühlingsgefühle, so warf er sich in den Kampf um die schönen Kätzinnen. Mit wenig Erfolg, meist kam er nach einer Woche mit arg zerzaustem Fell und „Schlanz“ im Ohr zurück – das war die Inspiration zu „Kater“, einem Lied, bei dem sich Enz & Co. sich vorstellen, wie schön es wäre, ein echter Macho-Kater zu sein. Ein politisch nicht ganz korrektes Lied.

Gigegschicht

Ur-Galgevogel Andreas Rüber hatte einen Onkel. Der träumte von einer Musiker-Karriere. Als Kind sagte man ihm: „Du bist noch zu klein, um ein Instrument zu spielen“. Wie er gross ist und sich ein Instrument kaufen kann, träumt er immer noch davon „Paganini“ zu werden. Und er wird zum Paganini, als er sein Geigen-Solo spielt am Konzert des Kirchenchors in der Dorfkirche. Ein Mutmacherlied mit einem Geigensolo von Katja Hess (Trio Artemis), einst Schülerin von Andreas Rüber.

Superkitsch

Als Mundart-Texter verfolgt man das Schaffen der KollegInnen mit grossem Interesse. Immer wieder spielt DRS 1 Lieder neuer Mundart-Sänger. Sie singen oft von der Liebe und der Hoffnung, dass die Angebetete sie nie verlasse – und das bei einer Scheidungsrate von 50%. Eindrücklich ist bisweilen auch die Reimkunst der Kollegen. Also hat es die Galgevögel gereizt, das Genre des Liebesliedes mit „Superkitsch“ um ein weiteres Meisterwerk zu bereichern. Und Superkitsch ist eine Premiere: Zum ersten Mal singt mit Rachel J. Fischer eine Frau auf einer CD der Galgevögel. Rahel ist u.a. Backup-Sängerin bei Göla und Darstellerin in Musicals wie „We will rock you“.

Stecher

Die Anregung zu Stecher erhielt Hansjörg Enz in einem Salon in Berlin. Eine charmante Frau mit magischen Händen widmete sich seinen wenigen Haaren. Sie machte das so geschickt, dass seine Fantasie durchging und die geneigte Hörerin denkt: jetzt singt der doch von einem Besuch in einem Etablissement für einsame Herr(z)en. Nur – honnît soit qui mal y pense – es geschah in einem Frisör-Salon. Und weil’s in Berlin war, ist der Song in hochdeutsch.

Kleine Flüchte (wienerisch)

Beim 10-Uhr-Kaffee fliegt einem der Satz zu: „Was wär’n wir ohne unsre kleinen Süchte“. Das wäre doch ein gut singbarer Satz. Und was reimt sich drauf? „Unsre täglichen kleinen Flüchte“. Und dann trällert’s der Textdichter und er merkt: das tönt irgendwie wienerisch. Und weil’s in Wien so gute Kaffeehäuser geben soll, sucht er sich einen echten Wiener. Und Ben Seeling „wienert“ den Text ein und coacht ihn im Studio so lange, bis es tönt als sänge ein Wiener. Und wenn nicht „is es ja eh Wuascht“.

Firobed irgendwo

Auf einer Amerika-Reise läuft ein Countrysender, denn Hansjörg Enz schätzt diese Musik. Vor allem, wenn Songs Geschichten erzählen (beispielhaft Dolly Partons „Harper Valley P.T.A“) oder Situationen schildern, wo man denkt; „Genau, erlebe ich das auch“. Das passierte mit dem Hit von Alan Jackson und Jimmy Buffett „It’s Five O’Clock Somewhere » aus dem Jahre 2003. Sie singen davon, dass man schon am Mittag nach dem Feierabend sehnt. Der geniale Dreh des Songs: Irgendwo auf der Erde ist immer Zeit für Feierabend, also kann ich doch auch jetzt gleich alles stehen und liegen lassen, weil es ist ja „Firobed irgendwo“. Und bei diesem Song durften die Vögel erfahren, wie viel Bürokratie es braucht, bis man einen Song covern darf.

Blablabla

Hansjörg Enz arbeitete zwischen 2008 und 2010 als Entwicklungshelfer in der Demokratischen Republik Kongo. In diesem Land mit unvorstellbaren Bodenschätzen geht es Politikern, Kaufleuten und auch vielen Geistlichen sehr gut. Wenn man sie fragt, warum im reichen Lande 90% der Leute bettelarm sind, antworten sie mit stundenlangem Blablabla. Und wenn man die Entwicklungshelfer fragt, warum man von ihrer Hilfe so wenig sieht, retten sie sich auch in nebulöses Blablabla. Enz nahm diesen Song mit der kongolesischen Band Arc en Ciel in Bukavu auf, es läuft in verschiedenen Radiostationen im Kongo.

Für Van

Man hört ein Lied, es bleibt hängen, man spinnt es weiter. So geht es wohl vielen Songschreibern. Und so wird aus einem Lied ein andres. So ging es Hansjörg Enz mit dem Song „I’m tired Joey Boy“ von Van Morrison. Daraus wurde ein Song über das Altwerden, wenn man müde wird und davon träumt, wie’s damals war, als man die Welt noch verändern wollte. Und weil Enz ein Bewunderer ist von Van Morrison widmet er ihm das Lied.

Skandal überall

Im letzter Zeit erlebte die Schweiz gar manchen Skandal: Carlos, Gery Müller, das K.O.-Paar in Zug. Irgendein findiger Journalist bringt die Story in die Medien, erst wissen es wenige, bald wurden die Stories dann zum Aufreger der Nation. Alle können mitreden und sich besser fühlen als diese… . Solche Empörgeschichten eignen sich trefflich, um nicht über die Probleme nachzudenken, die wirklich wichtig sind. Und jeder kann etwas mitspekulieren, auch Journalisten. Und wer fragt sich: „was weiss man denn genau?“.

Saurier / Usverchauf

Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, Überbevölkerung – da denken manche schon mal am Weltuntergang. Falsch! Die Welt geht nicht unter, die Erde kann’s ganz gut ohne die Menschen. So wie sie’s auch ganz gut gekonnt hat ohne Saurier. Nur es gibt einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied. Für ihren Untergang konnten die Saurier nichts, wir Menschen allerdings schon. In die Sparte der ernsten Lieder gehört auch „Usverchauf“, das den Wahn besingt, dass die Wirtschaft nur dann funktioniere, wenn wir weiter konsumieren bis zum Schlussverkauf.

Amici buona notte

Es geht gegen Mitternacht, wir sitzen in einer Beiz mit Freunden. Wir möchten noch nicht nach Hause, bestellen noch eine Flasche. Und wenn dann alles gesagt ist, was getratscht werden musste, werden wir vielleicht ernst, reden von dem, was uns wirklich bewegt. Wir hoffen, der andere bleibe noch etwas, höre noch etwas zu. Ein Lied, im Stil italienischer Cantautori mit einer einfühlsamen Begleitung von Ex-Galgevogel Robert Fricker dem Schwyzerörgeli-Magier Markus Flückiger (Hujässler, Max Lässer’s Überlandorchester etc.).

Obwohl mes besser weiss

Ein Träller-Lied, das sudamericano-lässig daherkommt zum Mitpfeifen und Mitsingen. Der Refrain geht ins Ohr: „Obwohl mes besser weiss, treit me sich im Kreis, macht all de glich Scheiss (sorry)“. Wenn man dann hinhört, merkt man, dass das Lied entstanden sein muss nach der Bankenkrise. . Eigentlich ein Zeigefinger-Lied, aber ein doppeltes: Die Galgevögel zeigen auf die andern, aber auch auf sich selber. Auch sie machen den gleichen Scheiss, obwohl sie’s besser wüssten. Das macht die Sache aber auch nicht besser – also weiterträllern.

Nu no 48 Täg und Chumm, chumm, chumm

Mit dem Älterwerden haben die Vögel schon auf der zweiten CD vor bald 30 Jahren beschäftigt. Von damals stammt der „AHV-Tango“, eines der wenigen Stücke, die noch heute im Programm sind. Auf der letzten CD „verschide glich“ rappten sie: „Alt werde, för wa soll da guet si?“ Seither sind 6 Jahre vergangen und die beiden Ur-Galgevögel Rüber und Enz stehen vor der Pensionierung. In „nu no 48 Täg“, singen sie von der Angst, vor dem, was nachher kommt. Und in „Chumm, chumm, chumm“ schleicht der Gevatter Tod schon ums Haus. Beide Lieder enden eher tröstlich. Und wenn man sich bei den Liedern der Vögel fragt, erfunden oder erlebt? Letzteres.

Der Tonmeister und Klangzauberer Stauffacher & Gäste

Bereits zum dritten Mal arbeiten die Galgevögel mit Produzent und Tonmeister Rolf Stauffacher zusammen, einem der gefragten Leute der Branche. Er machte lange Jahre den Live-Sound von Gianna Nannini, und wenn Göla, Florian Ast oder Sina gut tönen, steht oft Rolf Stauffacher am Mischpult. Aus den Galgevögel-Songs hat Rolf Stauffacher ein Album kreiert, das ZuhörerInnen von Anfang an mitnimmt auf eine musikalische Reise durch Musikstile. Immer im Sound, der die Texte am besten unterstützt. Und wenn eine Farbe fehlte bei der Aufnahme, so spielt Stauffacher gleich selbst oder holte einen Gast dazu. So rührt einen Markus Flückiger Schwyzerörgeli-Begleitung auf „Amici buona notte“ fast zu Tränen, und Rahel J. Fischers Duett mit Hansjörg Enz in „Superkitsch“ ist ein echter Beitrag zum Schweizer Schlagerschaffen.

 

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